Klimawandel 4: Potentiale und Grenzen des derzeitigen Klimaschutzes

Hier kommt Teil 4 unserer Beitragsreihe zum Klimawandel. In Teil 3 hatten wir Namoi Klein aufgegriffen: „Was der Einzelne gegen den Klimawandel tun kann? Nichts!“. Dieser Teil nun beschäftigt sich mit dem Stand der globalen Klimaschutzbemühungen und ob sie Aussicht auf Erfolg haben werden.

In der Fliegerei kennt man die Unfallursache des „Controlled Flight into Terrain“. Der Pilot hat volle Kontrolle über sein Flugzeug, aber bedauerlicherweise ist seine Situationseinschätzung grundfalsch und das führt zum Absturz. Ein analoger Begriff wird uns für die derzeitige Lage noch einfallen müssen.

Es wird oft gesagt, die Menschheit befände sich in einem schlechten Zustand. Das wäre allerdings nichts Neues, ihr Zustand war irgendwie schon immer schlecht. Im Moment fühlt es sich dennoch besonders an: Klimawandel, Corona, Artensterben. Übersäuerung der Meere, Mikroplastik, Schmelzen der Polkappen, Eutrophierung der Gewässer, Störung des Stickstoff-Kreislaufes. Migration, das Ende der westlichen Gesellschaft, Kriege und verrückte Staatsoberhäupter. Die letzten Jahre waren nicht gerade arm an „Herausforderungen“. Meist begleitet von dem Hinweis: wenn wir jetzt nicht ganz schnell umsteuern, sei es endgültig zu spät.

Deutlich weniger wahrnehmbar wird öffentlich die Frage diskutiert, ob man die Welt, wie wir sie kannten, überhaupt noch retten kann. Die globale Durchschnittstemperatur wird in einem Zeitraum, der uns persönlich interessiert (also 1-2 Generationen) nicht wieder um 1 Grad sinken. Genau genommen können wir wahrscheinlich froh sein, wenn sie nicht in Richtung 3-4 Grad steigt und damit oberhalb jener als „schlimmstmöglich“ definierten Szenarien. Die verlorenen Arten kommen nicht wieder zurück und für eine evolutionäre Erholung eines Genpools spricht man, wenn man kein Geningenieur ist, in Zeiträumen von zehntausenden Jahren. Migration ist eine Folge gesellschaftlicher Ungleichgewichte und ohne deren substantielle Reduzierung wird das Problem größer, nicht kleiner. Kriege entlang der Ariditätslinien nehmen nur ab, wenn die Ariditätslinien sich verschieben und da schließt sich ein Kreis. Irgendwie ist der Zustand jetzt doch schlimmer als sonst.

Die Besonderheit heute – und das unterscheidet die Situation gegenüber der vor 30 Jahren – ist, dass die Menschen sich im Großen und Ganzen über ihre Lage im Klaren sind. Wir wissen, dass wir unseren Planeten im Übermaß beanspruchen. Die Modelle, die uns zeigen, dass das nicht mehr lange gut geht, sind etabliert und allgemein akzeptiert. Wir wissen sogar, was wir tun müssten, um die Situation halbwegs beherrschbar zu machen: verzichten, Impact auf null reduzieren und der Natur Raum zu ihrer Entwicklung lassen.

Wir können uns auch nicht auf Irrtum und Sinnestäuschung berufen. Selbst in einem globalen Lockdown Jahr, das sich für viele wie Endzeit anfühlt, ist der weltweite CO2-Footprint gerade mal um 7% gesunken (die Max-Planck-Gesellschaft feiert das als Sensation). Wie sollen wir denn da realistisch die übrigen 93% angehen? Wir wissen, dass wir ein verbleibendes CO2-Budget in der Größenordnung 500-750 Gigatonnen weltweit besitzen. Und dass wir damit keineswegs die Vergangenheit wiederherstellen können, nur die weitere Verschlechterung bremsen. Trotz aller gemeinsamer Anstrengung auf multinationaler Ebene setzt Deutschland sich Klimaziele, die das auf sie entfallende Budget um 100% überschreiten. Was machen wir, wenn alle anderen Länder auch auf diese kreative Idee kommen?

Man darf nicht aufhören, sich um eine Besserung der Lage auf allen Fronten zu bemühen. Der Mensch war in seiner Geschichte oft ziemlich gut darin, sich aus scheinbar aussichtsloser Situation zu befreien. Und darum geht es, auch wenn die Vielzahl der Probleme erdrückend scheint.

Aber im Moment scheint es, fehlt ein Baustein in der globalen Klima-Pandemiebekämpfung und wir haben eine Idee, was das sein könnte. Dazu müssen wir ein wenig ausholen.

Die Welt unter Stress

Die Welt steht unter Stress, und dieser Stress ist im Wesentlichen anthropogen. Auch wenn der Mensch nur 0,01% der Biomasse des Planeten ausmacht (82% sind Pflanzen und 13% sind Bakterien), die Säugetierwelt ist heute humanoid. Der Mensch stellt heute 36% der Biomasse aller Säugetiere, seine Nutztiere machen ca. 60% aus. Tiere in freier Wildbahn: 4%, das ist alles1. Mehr als die Hälfte aller Dinge auf der Welt sind vom Menschen gemacht, Tendenz steigend2.

Stress ist im evolutionären Verlauf ein interessantes Phänomen. Dabei geht es an dieser Stelle nicht um das Gefühl von Stress, wenn der Rentner vor einem an einer übervollen Supermarktkasse nach Kleingeld sucht. Gemeint ist evolutionärer existenzieller Stress im engeren Sinn. Tiere reagieren auf Stress mit Flucht, Angriff oder Erstarrung. Um diese auf das Überleben gerichtete Reaktion so gut wie möglich zu bewerkstelligen, führt Stress im gesamten Tierreich und insbesondere bei Säugetieren zu zwei Ergebnissen, die das individuelle Überleben sichern sollen:

  1. Dem Organismus wird ein signifikant erhöhtes Maß an verfügbarer Energie bereigestellt, um sich aus der Stresssituation zu befreien
  2. Die Urteilskraft im Sinne des situativen Gefahrenbewusstseins steigt, um diese Energie für die bestmöglichen identifizierten Handlungsoptionen verfügbar zu machen

Leider ist der Mensch kognitiv asymmetrisch aufgestellt. Akute Gefahrensituationen werden im allgemeinen gut erkannt und die darauf folgende Reaktion ist – als Ergebnis eines evolutionären Prozesses – häufig angemessen. Auf der anderen Seite ist die menschliche Fähigkeit zur Risikoabschätzung, also langfristige Folgen des eigenen Verhaltens vorherzusagen und entsprechend darauf zu reagieren, schlecht entwickelt. Darum hat irgendein armer Insulaner auf den Osterinseln den letzten Baum gefällt und Deutschland hat immer noch kein Tempolimit auf den Autobahnen. Das mag man mehr oder weniger beklagenswert erachten, es ist aber so.

Erfolgreiche Risikoabschätzung und -vorsorge, da ist die Forschung ziemlich klar, erfordert drei Voraussetzungen:

  1. Ein Wertesystem, das die Bereitschaft zur Bewältigung des Risikos inhärent macht
  2. Die Kenntnis der eigenen Situation und der Wege zur Beseitigung des Risikos (oder meist: der Risiken)
  3. Die Bereitschaft zur kollektiven Zusammenarbeit zur Vermeidung des Risikos

Wir meinen, dass das grundsätzliche Wertesystem vorhanden ist. Ich kenne niemanden, der sich für Überfischung ausspricht und es wächst eine neue Generation nach, die ein Dieselfahrzeug für jeden als Grundrecht für eine aberwitzige Vorstellung hält. Wir machen einige Projekte in Südost-Asien und auch dort sind wir noch nie jemandem begegnet, der den Smog in Saigon für wünschenswert erachtet oder Mikroplastik in Fischen als Delikatesse empfindet. Egal mit wem man spricht, die allermeisten haben ein solides Grundverständnis dafür, dass man mit der Natur sorgsam umgehen muss.

Es mangelt auch nicht an Wissen. Während die Oster-Insulaner sich 1200 n. Chr. vielleicht noch darauf berufen konnten, die Folgen ihrer Aktivitäten nicht absehen zu können, ist heute im 21. Jahrhundert die Lage anders. Eine Studie der Universität Hamburg zeigt, dass der Anteil an Klimaleugnern in Deutschland bei 7% liegt. Deutlich mehr Leute glauben, dass im Sommer die Tage länger werden (sie werden in Wirklichkeit kürzer) oder dass die Farbe der Sonne gelb ist (ist sie nicht, kann man an der Farbe von Schnee erkennen). Alles in allem, ich glaube nicht, dass mangelndes durchschnittliches Wissen heute noch ein Problem darstellt.

Und dennoch kriegen wir das größte Problem in der Geschichte der Menschheit nicht im Ansatz in den Griff. Und das, obwohl es eine Bereitschaft zur kollektiven Zusammenarbeit zu geben scheint. 25 UNO-Klimakonferenzen waren wichtig, große Verabredungen und Verpflichtungen wurden eingegangen – aber selbst für ein aufgeklärtes Land wie Deutschland folgt aus der kollektiven Einsicht in die Problematik keine entschlossene Veränderung in eine richtige Richtung. Auf der anderen Seite versuchen viele Menschen auf individueller Ebene, sich nachhaltiger und vernünftiger zu verhalten. Aber es scheint eine Kluft zu geben zwischen dem, was wir wissen und bereit sind zu tun auf der einen Seite und der Umsetzung von Maßnahmen auf der anderen; die Dissonanz zwischen individueller Einsicht und kollektiver Handlung.

Wie erreichen wir… ja was eigentlich?

Im Großen kann eine neue Administration in den USA binnen 50 Tagen ein umfassendes Corona-Programm und massive Transferleistungen organisieren. Im Kleinen verwandelt ein bayerischer Ministerpräsident ein gegen seine Regierung gerichtetes Volksbegehren für den Artenschutz in eine neue, grüne Politikrichtung für seine eigene konservative Partei. Warum gelingt es nicht, eine kollektive Risikoabwehrstrategie gegen eine globale existenzielle Bedrohung irgendwie so zu organisieren, dass etwas Messbares geschieht?

Ist es etwas in unseren Genen? Oder die modernen sozialen Medien und ihre maßgeschneiderten Filterblasen? Oder doch, wie früher, die Politik, die – natürlich im Gegensatz zum aufgeklärten Großherzbürger – völlig kurzsichtig und eigennützig jeden Fortschritt verhindert? Oder doch das miese kapitalistische System, in dem die da oben nach eigenem Gutdünken entscheiden, was sie wollen?

An allen diesen genannten Punkten ist bestimmt auch etwas dran, und es gibt sicher noch mehr (eine atomisierte Gesellschaft, Klassenprobleme, Tribalisierung, u.v.m.). Aber diese Einzelaspekte verdecken etwas anderes, etwas grundsätzliches: Wenn ein derart wichtiges Projekt in so großem Stil versagt, muss strukturelle Gründe geben – ein blinder Fleck, der nicht unmittelbar offensichtlich ist und den Erfolg verhindert.

Ein neuer Blickwinkel auf die Sache könnte sich ergeben, wenn man die Strategien betrachtet, mit denen heute die Bekämpfung des Klimawandels in der Wissenschaft diskutiert wird:

  1. Die Reduktion des gegenwärtigen CO2-Footprints menschlicher, meist wirtschaftlicher, Aktivitäten durch verantwortungsvollen Konsum durch Substitution (kein PKW, sondern Mobilitätsdienstleister), Surrogate (Hafermilch, Veggieburger) und bessere Technologie (Elektromobilität)
  2. Die Kompensation des CO2-Footprints durch Aufforstung, etc.
  3. Die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre durch Technologie (z.B. Direct Air Capture)
  4. Die Abwehr der Erwärmungsfolgen durch Kühlungsmaßnahmen in planetarem Maßstab (z.B. Ausbringung von Diamantstaub in der Stratosphäre zur Kühlung der Erdoberfläche und andere vergleichbare Maßnahmen, die üblicherweise unter dem Begriff des Geoengineering zusammengefasst werden)
  5. Das Verlassen des Ökosystems (Mars, Wohnraumschiffe)
  6. Alles zusammen („Maßnahmen-Mix“)

Könnte die unangenehme Realität sein, dass wir überhaupt keine Idee haben, wie wir eine bessere Welt erreichen wollen?

Wie Alice im Wunderland: „If you don’t know where you are going, any road will take you there“. Kann es sein, dass die Menschheit in Zeiten von Fridays for Future, den UNO-Nachhaltigkeitszielen, B Corporation und Gemeinwohlökonomie, Cradle to cradle und dem Blauen Engel keine Idee hat, wo sie hin möchte?

Zum Einstieg eine Beobachtung einiger Eckdaten aus der Vergangenheit:

Entwicklung der Wirtschaftsleistung pro Kopf auf der Welt seit 1500 bis heute
Quelle: Angus Maddison „World Population, GDP and Per Capita GDP, 1-2003 AD

Etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann eine Phase der Menschheitsgeschichte, die durch exponentielle Entwicklung von Automatisierung, Forschung, Medizin, Technologie, Kapitalmärkten, Konsum und anderen Errungenschaften gekennzeichnet war, die wir heute als Moderne bezeichnen. Gleichzeitig (oder tatsächlich etwa 100 Jahre zuvor) begann die Weltbevölkerung ihrerseits ein exponentielles Wachstum, das sich bis 2050 bei ca. 10 Mrd. Menschen einpendeln wird.

Quelle: Wikipedia

Gleichzeitig begann, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu steigen. Um 1750 lag die CO2-Konzentration bei 278 ppm und stieg dann während des industriellen Zeitalters kontinuierlich auf 416 ppm im Februar 2021.

Quelle: Wikipedia

Dazu zwei einfache Gleichungen.

(1) Wirtschaftsleistung (↑↑) = Pro-Kopf-Einkommen (↑) X Zahl der Köpfe (↑)

(2) Umweltschäden (↑) = Wirtschaftsleistung (↑↑) X Schadensfaktor (↘︎)

Zumindest für die Vergangenheit bis heute galt, dass selbst in Zeiten rückläufiger CO2-Emissionen pro Kopf die Umweltschäden mit steigender Bevölkerungszahl und steigendem Pro-Kopf-Einkommen weiter anstiegen. Die gleichen Ursachen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensumstände der Menschen geführt haben, führten auch zu einer Verschlechterung der Umweltressourcen.

Wie kommt man aus diesem Teufelskreis raus? Betrachten wir dazu die aktuellen Strategien.

Reduktion

Um es klar zu sagen. Wenn ab heute die CO2-Emissionen auf null fallen, dann bleibt die Erderwärmung in den nächsten hunderten Jahren so, wie sie heute ist, also etwa bei +1,1°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Alle bestehenden Klimafolgen bleiben bestehen, es kommen nur keine durch weiteren Temperaturanstieg dazu. Wir sprechen also heute schon nicht mehr davon, die Natur so zu machen, wie sie mal war, sondern nur von Beschränkung der Schäden auf das bisherige Maß. Gleiches gilt für andere Umweltschäden wie Korallensterben oder Übersäuerung der Ozeane.

Quelle: E. Kostner: Under a white sky3

Also damit es bei 2 Grad bleibt (alles andere scheint sowieso Illusion) müssen die Emissionen bis 2040 auf null sinken. Das ist bei wachsender Erdbevölkerung ungefähr jährlich ein Rückgang, der der Reduktion durch den Stillstand in der Corona-Pandemie in 2020 entspricht. 2,7 Gt CO2 weniger, jedes Jahr. Planen Sie besser ab sofort nur noch Urlaubsziele, die Sie zu Fuß erreichen können.

Kompensation

Natürlich vereinfachen wir an dieser Stelle, es geht um die Dimension des Problems nicht um Planungsgenauigkeit. Wenn Ihnen nur Einfälle für 2,2 Gt jährliche CO2-Reduktion kommen, trotzdem her damit, die übrigen 0,5 Gt finden sich dann schon. Da diese Reduktion angesichts des Umstandes, dass Menschen alleine nur Essen wollen unrealistisch ist (etwa 25% der Co2-Emissionen entfallen auf Ernährung), lag die nächste Hoffnung der Menschheit auf der Kompensation. CO2 irgendwo in der Biomasse zu speichern und damit der Natur zu entziehen und da drängen sich zwei besonders effektive biologische CO2-Speicher auf, Algen und Bäume. Da Algen meist nur kurz leben und nach ihrem Tod das CO2 wieder in die Atmosphäre abgeben, kommen eigentlich als langfristige Speicher nur Bäume in Betracht. Der Markt ist voll von Anpflanzungsprojekten und Widersprüchen. Erstens, müssen die eigens gepflanzten Bäume sehr lange leben, damit sie das CO2 nicht wieder in die Atmosphäre abgeben. Ein paar hundert Jahre wären schon gut (es wird also nichts mit Möbeln aus CO2-Kompensationsbäumen). Zweitens, wir brauchen viele Bäume. 1.000 Milliarden Bäume zusätzlich könnten etwa 30-40% der jährlichen weltweiten Gesamtemissionen kompensieren. Nicht schlecht, aber da bleibt immer noch eine Lücke. Und drittens, 1.000 Milliarden Bäume muss man erstmal pflanzen. China mit seinem bekannt hohen Organisationsgrad hat in den letzten 30 Jahren etwa 38 Milliarden Bäume gepflanzt. Das ist ganz schön viel aber wir bräuchten die 1.000 Milliarden Bäume eigentlich ab sofort. Viertens, es besteht eine Flächenkonkurrenz zwischen CO2-Kompensation, Biotreibstoffen, Schutz von Ökosystemen, Ernährung und den Holzhausbau. Es ist nicht ganz einfach, das alles unter einen Hut zu bringen. Und wenn es gelingt, sind es immer noch nur 50% der jährlichen Emissionen.

CO2-Entfernung

Die künstliche Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre ist eine naheliegende Idee. Warum nicht weitermachen, wie bisher und das aus Energieerzeugung, Landwirtschaft, Industrie und Logistik entstehende CO2 wieder einfangen und irgendwo sicher speichern. 40 Gt CO2 pro Jahr auf diese Weise neutralisiert und die Welt könnte sich einigermaßen „unbeschadet“ (siehe dazu obiger Anschnitt „Reduktion“) weiterdrehen. Also CO2 aus der Atmosphäre einfangen („Direct Air Capture“) und dann irgendwo am besten in Gestein speichern („Direct Air Capture and Storage“). Versuchsanlagen dazu gibt es schon.

Im Wesentlichen bestehen das Verfahren aus zwei Schritten. Im ersten Schritt wird CO2 durch einen sog. CO2-Absorber (ein flüssiges Amin, Kaliumhydroxid o.ä.) gebunden und in einem weiteren Schritt durch Erhitzung wieder ausgeschieden und weiterverarbeitet (z.B. durch Verpressung in Gestein). Beide Schritte sind durchaus mit Belastungen für die Umwelt verbunden (z.B. Wasserverbrauch, ätzende Chemikalien, etc.) und der Prozess ist insgesamt energieintensiv. Pro Tonne aus der Umgebungsluft eingefangenes CO2 müssen recherisch 250kwh Energie eingesetzt werden, so dass sich der Energiebedarf zur Beseitigung von 40 Gt CO2 mit ungefähr 10-15% des derzeitigen Weltenergiebedarfes ermittelt. In der Praxis dürfte der tatsächliene Energiebedarf aufgrund von Prozessverlusten höher liegen. Im Moment liegen die Kosten pro Tonne CO2-Entfernung um die 1.000 USD. Bei 41 Gigatonnen pro Jahr kostet die Entfernung dann 41 Billionen USD pro Jahr, etwa die Hälfte des gegenwärtigen Volumens der Weltwirtschaft.

Folgenabwehr

Elizabeth Kostner, die US-amerikanische Jounralistin, die auch The sixth extinction über den Artenschwund geschrieben hat, hat ein neues Buch vorgelegt: Under a white sky.

In diesem Buch beschreibt Kostner anhand von sechs Beispielen, wie die Versuche, die Natur durch Technik zu gestalten große Probleme hervorgerufen haben, die nicht vorausgesehen wurden. Etwa bei der unabsichtlichen Verbindung des Mississippi-Flusssystems (dem drittgrößten der Welt) mit den Great Lakes (ebenfalls ein großes Ökosystem) durch einen gutgemeinten Abwasserkanal in Chicago. Was man nicht bedacht hatte, war dass Raubfische aus dem Mississippi-System gegen den Strom des Abwasserkanals in die Great Lakes gelangen könnten. Die Behebung des Problems wäre zehn mal teurer als der ursprüngliche Kanal und steckt in den Mühlen der Politik fest. Oder die Landgewinnung in New Orleans, die zu Landverlusten und einer deutlich höheren Hochwassergefahr führte. Oder Aga-Kröten in Australien, deren Ausbreitung man heute nur noch mit Gentechnik stoppen könnte mit unbekannten Risiken für die restliche Fauna. Oder das Great Barrier Reef, das man mit einer äußerst aufwendigen Laborzucht von Polypen retten möchte, die wahrscheinlich zu spät kommen wird, wenn sie überhaupt erfolgreich ist.

Der Titel des Buches Under a white sky bezieht sich auf ein Kapitel, das sich mit den Ansatzpunkten zu Geoengineering zur Bewältigung der Klimafolgen beschäftigt. Eine derzeit unter Geoingenieuren ernsthaft diskutierte Methode ist es, bestimmte Partikel (zur Diskussion stehen Sulfate, Diamentenstaub und Kalkstein) im großen Sil in der Stratosphäre zu verteilen, so dass diese das einstrahlende Sonnenlicht ins All reflektieren und somit den Strahlungs- und Erwärmungsdruck auf die Erde verringern – so etwas wie einen reflektierenden Sonnenschirm um die Erde zu spannen. Und jedes Jahr müsste der Sonnenschirm größer werden, also mehr Partikel in die Stratosphäre eingebracht werden, wenn die Emission an Treibhausgasen steigt.

Die erste Reaktion auf diese Ideen ist oft: „sind die jetzt total übergeschnappt?“. Hat der Mensch nicht in der Vergangenheit schon eindrücklich bewiesen, dass er mit der Steuerung komplexer Ökosysteme meist noch größeren Schaden anrichtet?

Eindrucksvoll und erschreckend ist die Begründung einer der Pioniere der Geoengineering-Bewegung, Frank Keutsch, Harvard Professor für Biologie und einer der führenden Wissenschaftler für Geoengineering:

The thing I worry about is that in ten or fifteen years, people could go out in the street and demand from decision-makers, ‘You guys need to take action now!’ ” […] We have this integrated CO2 problem that you can’t do anything about very quickly. So if there’s pressure from the public to do something fast, my concern is that there will be no tools at hand other than stratospheric geoengineering.

Frank Keutsch, in: Under a white sky

Wir forschen daran, das Ökosystem zu manipulieren, weil wir Angst davor haben, dass wir es irgendwann machen müssen, weil wir das Problem vorher nicht in den Griff bekommen. Der Titel des Buches „Under a white sky“ bezieht sich übrigens darauf, wie der Himmel aussähe, wenn wir das wirklich tun. Wir würden unter einem weißen Taghimmel leben, weil der „künstliche Sonnenschirm“ einen tiefweißen am Himmel hinterlassen würde.

Die Erde verlassen

Und wenn alles nichts hilft… dann verlassen wir eben die Erde. Elon Musk spricht davon, wir müssten, um zu überleben eine „multiplanetary species“ werden. Er meint damit die Besiedlung des Planeten Mars. Amazon-Gründer Jeff Bezos geht mit Blue Origin den umgekehrten Weg. Nicht die Menschen sollten die Erde verlassen, sondern die schädlichen Technologien und damit der Teil der Industrie, der die größten Umweltschäden verursacht.

Alles zusammen

Fassen wir nochmal zusammen: verantwortungsvoller Konsum ist sehr langsam, Kompensation durch konkurrierende Nutzung der Waldflächen nicht ausreichend skalierbar (wir wollen gleichzeitig Naturwald, Anbauflächen für Biosprit, Bäume zur CO2-Kompensation und Baumaterial für den Holzhausbau), CO2-Entfernung derzeit noch energetisch ineffizient und Geoengineering gefährlich (dazu kommt demnächst ein eigener Artikel, dem interessierten Leser ist das Googeln der Begriffe termination shock, Dansgaard-Oeschger-Effekt und Geoengineering Model Intercomparison Project ans Herz gelegt). Die Erde zu verlassen wird uns in den nächsten 30 Jahren nicht gelingen und es ist auch nicht unmittelbar klar, wieso das eine gute Idee sein sollte.

Wenn gegen ein Problem jede Idee aussichtslos erscheint, dann gibt es eine alte Regel. Einfach alle wirkungslosen Maßnahmen gleichzeitig angehen und diese Strategie als Maßnahmen-Mix definieren. Das klingt irgendwie noch nicht nach einem überzeugenden Plan.

Wir sollten Frank Keutschs Angst vor unkontrollierbarem Veränderungsdruck ernst nehmen,vor allem dann, wenn irgendwann eine künstliche Intelligenz über unsere Strategien gegen den Klimawandel entscheidet. Man möchte sich die vermeintlich auf der Hand liegenden globalen Lösungsvorschläge gar nicht ausmalen. Umso mehr Bedeutung haben unsere Vorstellungen und Wünsche, wie eine Gesellschaft der Zukunft aussehen soll. Und darüber handelt der bald erscheindende Teil 5 der Klimawandel-Reihe.

Notes:

  1. Yinon M. Bar-On, Rob Phillips, and Ron Milo: The biomass distribution on Earth. abrufbar unter: https://doi.org/10.1073/pnas.1711842115
  2. Siehe dazu auch dieser Beitrag im SPIEGEL: https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/anthropozaen-kuenstlich-hergestellte-produkte-ueberwiegen-erstmals-die-masse-aller-lebewesen-weltweit-a-9f577654-7140-4199-a20f-39fcb30e78fa
  3. Elizabeth Kostner (2021): Under a white sky. Crown.

Dr. Marcel Pietsch ist studierter Volkswirt und Philosoph. Er führt ein B Corp-zertifiziertes Familienunternehmen, das sich mit der Herstellung und dem Lebenszyklus nachhaltiger Produkte beschäftigt. Weitere Artikel aus seiner Feder stehen hier.

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