Deutschland wird für seine Klima-Politik kritisiert. In Wahrheit ist es kompliziert und einfach zugleich.

Der ehemalige US-amerikanische Vizepräsident Al Gore hat in einem Beitrag für das Magazin POLITICO Deutschland für seine Energiepolitik kritisiert. Früher sei Deutschland die führende Nation im Klimaschutz gewesen, der keine andere Nation gefolgt sei – jetzt sei dies nicht mehr der Fall, so Gore.

Al Gore in Politico: https://www.politico.eu/article/al-gore-angela-merkel-climate-warns-germany-losing-climate-edge/

Insbesondere die Abkehr von der Kernenergie zur Stromerzeugung, die einst 20% zum in Deutschland verbrauchten Strom beigetragen hätte, sei dafür verantwortlich. Gore empfiehlt Deutschland insbesondere, im Personen- und Güterverkehr in Zukunft voll auf Elektromobilität zu setzen, um diesen Nachteil wieder aufzuholen.

Am 8. Oktober 2018 hat das IPPC eine Studie zur Erreichung des sog. 1,5-Grad-Ziels der Erderwärmung veröffentlicht. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, seien schnelle und einschneidende Maßnahmen notwendig. Der CO2-Ausstoß muss dazu nach Angabe der Wissenschaftler bis 2030 um 45% sinken und dies sei nur durch künstliche Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre und einen verstärkten Einsatz von CO2-neutralen oder reduzierten Formen der Energiegewinnung zu erreichen – und dazu gehört nach Meinung der Wissenschaftler auch die Kernenergie.

Klimabericht des IPPC vom 08.10.2018. http://www.ipcc.ch/report/sr15/

Im Juli 2018 hat das Umweltbundesamt eine Einschätzung zur CO2-Bilanz von Atomkraft im Vergleich zu alternativen Formen der Energiegewinnung herausgegeben, und zur Frage „Ist Kernenergie CO2-neutral?“ Stellung genommen. Dabei bezieht sich das UBA auch auf eine Modell-Studie des Darmstädter Öko-Institutes zu Treibhaus-Emissionen und Vermeidungskosten nuklearer, fossiler und erneuerbarer Strombereitstellung. Das Ergebnis überrascht den Autor dieses Blogs, übrigens ein bekennender Atomkraft-Gegner, dann doch:

Betrachtet man den gesamten Lebensweg – von Uranabbau, Brennelementherstellung, Kraftwerksbau und -rückbau bis zur Endlagerung – so ist in den einzelnen Stufen des Zyklus zum Teil ein hoher Energieaufwand nötig, wobei Treibhausgase emittiert werden. Atomkraft verursacht deutlich weniger CO2-Emissionen als Kohlekraftwerke, aber mehr als die erneuerbaren Energien! Interessant sind auch verschiedene Untersuchungen zur Kombination aus Stromerzeugung und Heizungstechnik in Privaträumen. Hier zeigt sich z.B., dass ein kleines Erdgas-Blockheizkraftwerk weniger CO2 emittiert als z.B. die Kombination Kernkraft und Öl-Heizung.

Bericht des Öko-Institutes aus 03/2017. https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/ist-atomstrom-wirklich-co2-frei

So einfach scheint die Sache also nicht zu sein, wenn man ins Detail geht. Unsere Klimapolitik ist zu anspruchslos, unsere niedrigen Ansprüche können wir kaum erfüllen und die Alternativen sind auch nicht so eindeutig, wie sie scheinen. Schliesslich sind wir nicht nur wegen der CO2-Bilanz aus der Kernenergie ausgestiegen und erneuerbare Energien ziehen auch Kontroversen mit sich, wie man an der Stromtrassen-Debatte erkennen kann.

Auf der anderen Seite, die Diskussion um die 1,5 oder 2 Grad maximale Temperaturerhöhung ist völlig eindeutig. Globale Erwärmung ist ein Fakt und die Konsequenzen sind – wenn auch nicht immer genau prognostizierbar – für viele Regionen auf der Welt nachhaltig schädlich. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass wir im Naturpark Altmühltal auf ca. 600m über dem Meeresspiegel liegen und der Anstieg der Weltmeere für uns vermutlich erst in mehreren hunderttausend Jahren bedrohlich wird. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und das Wohlergehen der Menschheit als Ganzes dürften in jedem Fall besorgniserregend genug sein, um die Menschheit zum Handeln zu bewegen.

Aber was tun? Komplexe Systeme sind nicht durch eine große, einschneidende Maßnahme steuerbar – in der Komplexitätswissenschaft hat man als beste Lösung für solche Probleme eine Abfolge kleiner, gradueller Maßnahmen und deren ständige Erfolgskontrolle als Wirkungspuffer erkannt. Vermutlich ist auch das System „Erde“ ein solches komplexes System und sollte auf diese Weise stufenweise gesteuert werden.

Ein Lichtblick der „kleinen Lösungen“ hat Schweden erfolgreich mit dem „Null-Müll-Prinzip“ eingeführt: Die Stadt Borås gilt z.B. nahezu als frei von Müll und zeigt, wie das „Null-Müll-Stadt“-Prinzip funktioniert. Die Stadtbewohner wissen, dass lediglich zwischen Biomüll und brennbaren Müll unterschieden werden muss. Von dem gesamten Müll, den die Stadt jährlich produziert, wandern nur noch vier Prozent auf die Deponie. 96% werden über Wärmekraftwerke in Strom und Fernwärme verwandelt (siehe dazu auch dieses Video). Und das funktioniert so gut, dass Schweden zur Zeit auch Müll aus anderen Ländern ankauft, damit die Kraftwerke mit maximalem Wirkungsgrad laufen können.

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