CO2-Kompensation: Heuchelei? Nützlich? Kommt darauf an!

Net-Zero, klimaneutral oder gar klimapositiv. Kaum ein Unternehmen, das sich nicht öffentlich zum Klimaschutz bekennt und dabei auf CO2-Zertifikate zurückgreift, mit denen Klimaschutz-Projekte finanziert werden. So sollen Treibhausgasemissionen verhindert oder reduziert werden.

Allerdings wird diese CO2-Kompensation auch sehr kritisch gesehen, weil sie, so die Kritik, in vielen Fällen eine Form des Greenwashings sei und die Projekte ohnehin nicht hielten, was sie versprechen.

Auch wir setzen in gewissem Umfang auf diese Art der CO2-Kompensation. Grund genug, ihre Rolle1korrekt wäre es an dieser Stelle von CO2-Äquivalenten (CO2e) zu sprechen, die sich auf alle Treibhausgase beziehen. Zur Verbesserung der Lesbarkeit schreiben wir weiterhin “CO2” an dessen Stelle. für den Klimaschutz nochmals detailliert zu betrachten und auf Mißbrauchspotential zu überprüfen.

Hintergrund

Die Weltwirtschaft hatte in 2022 ein Volumen von ca. 101 Billionen US-Dollar. Die anthropogenen CO2-Emissionen dürften nach letzten Hochrechnungen in 2022 ca. 40,6 Milliarden Tonnen (oder kurz Gt) erreicht haben. Für jeden Dollar Wirtschaftsleistung hat die Menschheit also einen CO2-Fußabdruck von 400 g erzeugt. Die Folgen dieser CO2-Belastung sind in der Literatur ausführlich dokumentiert.

20222030
Volumen der Weltwirtschaft in Billionen USD101,0150,0
Anthropogener CO2-Ausstoß in Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten2 Quelle: Global Carbon Projekt, zitiert hier: https://www.geomar.de/news/article/keine-anzeichen-für-einen-rückgang-der-weltweiten-co2-emissionen 40,6???

Die Handlungsoptionen

Werfen wir einen Blick auf die Handlungsoptionen, die grundsätzlich zur Verfügung stehen:

  1. Vermeidung/Verminderung: das Unterlassen von Aktivitäten, die CO2 ausstoßen (nicht fliegen, kein Öl verbrennen, etc.)
  2. Kompensation (für jede CO2-emittierende Maßnahme sorgt man dafür, dass an anderer Stelle CO2 eingespart wird)
  3. Extraktion (technisch oder biologisch CO2 aus der Atmosphäre zu binden)
  4. Geo-Engineering (z.B. durch Ausbringen von Mondstaub zwischen Sonne und Erde, was die auf der Erde eingehende Strahlungsenergie reduzieren soll – kein Witz!)

Jeder dieser Ansätze ist mit Möglichkeiten und Risiken behaftet. Vermeidung und Extraktion stellen vor allem eine Frage der praktischen, ingenieurtechnischen Machbarkeit dar. Kompensation und Geo-Engineering sind dahingehend bedeutsam, dass sie zusätzlich wichtige ethische Fragen aufwerfen. Während Geo-Engineering sich noch in der Phase der Konzeption befindet, ist Kompensation in den letzten 10 Jahren zu einem Milliardenmarkt geworden. Viele Unternehmen nutzen die Möglichkeit der Kompensation, um eigene Fußabdrücke zu verringern oder neutralisieren und die meisten zögern nicht, diese Aktivitäten auch marketingseitig möglichst positiv hervorzuheben. Wenig überraschend ist der Milliardenmarkt der CO2-Kompensation auch Gegenstand von Korruptions- und Betrugsvorwürfen, etwa der Vorwurf der Nutzlosigkeit von ausgegebenen CO2-Zertifikaten (dazu auch die lesenswerte Gegendarstellung von Verra).

Was bedeutet “freiwillige CO2-Kompensation”?

Es werden derzeit zwei Wege verfolgt, um die notwendige Reduktion der Treibhausgas-Emission in der Wirtschaft durchzusetzen:

  1. Eine gesetzliche Zuteilung von CO2-Verschmutzungsrechten (oft verbunden mit der Möglichkeit, nicht benötigte Rechte an andere zu verkaufen, z.B. der EU-Emissionshandel, die Wester Climate Initiative zwischen Kalifornien und Quebec, etc.)
  2. Eine freiwillige Kompensation eigener Aktivitäten durch den Kauf von zertifizierten CO2-Gutschriften aus Projekten, die a) Emissionen vermeiden sollen (z.B. durch Schutz von Wäldern, die sonst abgeholzt würden) oder b) CO2 in sog. “natürlichen Senken” binden und damit der Atmosphäre entziehen (z.B. Renaturierung von Torfmooren, Bäume pflanzen, etc.). Diese freiwillige Kompensation ist der Kernbereich der sog. CO2-Zertifikate.

Um letztere freiwillige CO2-Kompensation geht hier. Dieser Markt folgt einem einfachen Prinzip: Privatpersonen oder Unternehmen können ihre CO2-Emissionen durch die Finanzierung von Klimaschutz-Projekten “kompensieren” nach dem Prinzip: für jede Tonne CO2-Emission kaufe ich ein Zertifikat für 1 Tonne CO2-Einsparung.

Die Standards für beide Wege wurden 1997 im Kyoto-Protokoll festgelegt (vor allem Zusätzlichkeit, Dauerhaftigkeit, keine Doppelzählungen) und werden in den freiwilligen Zertifikatsmärkten durch Organisationen wie Verra oder Gold Standard überprüft.

Ist freiwillige CO2-Kompensation sinnvoll?

Eine Maßnahme ist ethisch sinnvoll, wenn sie vier Kriterien erfüllt: sie muss erstens einen legitimen Zweck verfolgen, zweitens geeignet, diesen Zweck zu erreichen, drittens erforderlich sein und viertens im Verhältnis zu anderen Maßnahmen angemessen erscheinen.

a. Legitimer Zweck

Am legitimen Zweck der freiwilligen CO2-Kompensation besteht nach unserer Einschätzung kein Zweifel.

b. Eignung

Schwieriger könnte es mit der Eignung aussehen, bei der es auf das einzelne Projekt ankommt. Es gibt eine Reihe von Klimaschutzprojekten, die wissenschaftlich und gesellschaftlich zweifelsfrei sinnvoll sind: Renaturierung von Mooren, Ansiedlung von Mischwäldern, Ausbau erneuerbarer Energien zu Lasten des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, auch der Ersatz von Kohleöfen durch Gasstövchen in Entwicklungsländern – alles Maßnahmen, die erstens technisch relativ einfach sind und zweitens den CO2-Ausstoß der Gesellschaft reduzieren. Diese Maßnahmen kosten Geld und CO2-Zertifikate sind ein einfacher Weg, dieses Geld bereitzustellen.

Es gibt aber eben auch eine Kategorie von Projekten, deren Sinnhaftigkeit sich nicht so zwanglos belegen lässt: die Vermeidung von geplanten klimaschädlichen Maßnahmen. Wie geeignet ist es, dass in Brasilien nicht gerodeter Regenwald zu einem CO2-Kompensationsprojekt wird? Wenn die brasilianische Regierung die vollständige Brandrodung des Amazonasbeckens ankündigt und dann in letzter Sekunde doch nicht durchführt, darf sie dann jährlich CO2-Zertifikate für 70 Gigatonnen ausgeben, mit denen sich westliche Unternehmen dann “klimaneutral” rechnen können? Und da das mehr als den jährlichen CO2-Gesamtausstoß darstellt, ist die ganze Welt dann klimapositiv geworden? Ich höre an dieser Stelle auf, Sie verstehen den Punkt. Klimaschutz-Zertifikate müssen als Verbesserung gegenüber dem Status-quo gerechnet werden, nicht gegenüber einem potentiell noch schlechterem Zustand in der Zukunft. Eine Frage der Logik.

Es kommt also auf das spezifische Projekt an.

c. Erforderlichkeit

Herrlich, an dieser Stelle kann sich der Autor jeder Diskussion vom Milliardenmarkt, dessen exponentieller Entwicklung und der Preiselastizität der Nachfrage mit gutem Gewissen enthalten. Der Markt ist dazu nämlich zu klein. Im Jahr 2022 wurden ca. 280 Millionen Tonnen CO2 auf dem freiwilligen Markt kompensiert3 siehe dazu auch https://app.powerbi.com/view?r=eyJrIjoiNGI5ZDY1ZWUtZGU0NS00MWRmLWFkNjQtMTUyYTMxMTVjYWQyIiwidCI6IjUzYTRjNzZkLWI2MjUtNGFhNi1hMTAzLWQ0M2MyYzIxYTMxMiIsImMiOjl9&pageName=ReportSection68c2510fa4171bdf82a9. Das sind nicht mal 1% des Gesamtausstoßes und auch wenn sich bereits heute in freudiger Erwartung exponentiellen Wachstums eine ganze Branche darauf stürzt, CO2-Zertifikate zu handeln und bereits die ersten Firmen Carbon-Futures anbieten, so ist nicht absehbar, dass der freiwillige Markt mehr als eine unterstützende Rolle in der Dekarbonisierung der Welt spielt – es gibt derzeit nicht genügend gute Projekte, für die Zertifikate ausgegeben werden können.

Was sagt das über die Erforderlichkeit der geeigneten Projekte? Wir meinen, es wäre zynisch, gute und zielführende Projekte nicht zu finanzieren (und damit nicht durchzuführen), nur weil sie erst einen kleinen Teil der Klimaschutzbemühungen ausmachen. Das Gegenteil wäre genauso schlüssig, nämich Zahl und Umfang der geeigneten Projekte auszudehnen.

d. Angemessenheit

Hier lautet der häufigste Vorwurf, dass freiwillige CO2-Kompensation moralisch Ablasshandel darstelle. Dieser Vorwurf impliziert, dass die positiven Effekte einer legitimen, erforderlichen und geeigneten Maßnahme dadurch entwertet würden, dass sie der werblichen Ertüchtigung des Akteurs oder Finanzierers dienen.

Anders gefragt, darf man ein ansonsten sinnvolles Projekt dazu benutzen, seinen eigenen CO2-Footprint schönzurechnen? Hierzu ein paar grundsätzliche Gedanken:

  1. Eine sonst sinnvolle Maßnahme kann auch dann sinnvoll bleiben, wenn der Akteur ein unsympathischer Kotzbrocken ist.
  2. Lügen und Werbesprech erkennt man meist aus großer Entfernung – wenn man nur möchte. Wer Produkte in Kunststoffverpackungen verkauft und gleichzeitig Kreislaufwirtschaft als zentrales Thema seiner unternehmerischen Existenz vermarktet, ohne eigene Ansatzpunkte zur Verbesserung mitzuliefern, der leidet mit höherer Wahrscheinlichkeit an dissoziativer Persönlichkeitsstörung, als er das Thema ernst nimmt.

Und dennoch bleibt ein ungutes Gefühl. Verschmutzen Unternehmen die Umwelt mehr, wenn sie auf der anderen Seite über Zertifikate einen Teil ihres schlechten Gewissens erleichtern können? Analoge Frage: kaufen Menschen größere Autos, wenn sie billiger geworden sind? Wahrscheinlich ja! Der menschliche Verstand kennt so viele Varianten und Tricks des Selbstbetruges, dass man ihm auch bei der Klimakompensation einige Kreativität unterstellen darf.

Die Angemessenheit hängt von der Einordnung der Kompensation in den unternehmerischen Kontext ab.

Unter dem Strich

Die Menschheit muss ihren CO2-Footprint auf quasi null reduzieren. Die wesentliche Maßnahme dafür ist die Dekarbonisierung von Energie, Bau, Verkehr und Ernährung. Freiwillige Kompensation, wie auch Extraktion, spielen auf globaler Ebene quantitativ derzeit eher eine untergeordnete Rolle.

Für Unternehmen und Privatpersonen gilt sicher, dass der Vermeidung von CO2-Emission höchste Priorität einzuräumen ist. Nur wer in seinem Kerngeschäft Vermeidung zum Hauptziel erklärt und durch entsprechende Maßnahmen unterfüttert, beschäftigt sich ernsthaft mit Klimaschutz.

Den Projektzertifizierern kommt besondere Sorgfaltspflicht zu und besonders in dieser Sicht ist die kritische Begleitung dieser Zertifizierungen durch Presse und Wissenschaft besonders zu begrüßen.

Moralisch gesehen ist die freiwillige CO2-Kompensation aber auch anfällig für Fallgruben aller Art. Nicht so tiefgreifend wie bei der Frage, ob es legitim sei, damit zu werben, dass jedes verkaufte Produkt ein Kinderleben im Sudan rettet (siehe dazu auch Das Purpose Problem). Aber es erfordert einen kritischen Kundenblick, ob die Werbung im Verhältnis zur tatsächlichen Umweltorientierung des Unternehmens steht.

Viele Marketing-Slogans sind eher albern. Hier in absteigender Reihenfolge ihres potentiellen Ernstes:

  • „XY hat in 2021 130 to CO2 in den Projekten a,b,c kompensiert. Das entspricht 100% ihres CO2-Footprints in Scope 3. Für 2022 ist eine Senkung des Footprints um 10% geplant. Die zugehörigen Maßnahmen finden Sie in unserem Nachhaltigkeitsbericht, der öffentlich zugänglich ist…“ – die ehrlichste Form
  • „CO2-neutral hergestellt in Scope 3″ – konkret, mit verbindlichem Umfang
  • “Net Zero by 2030” – ein konkretes Ziel, aber eben nur ein Ziel
  • “klimabewusst” – gut zu wissen, unklar in der Bedeutung
  • “klimaneutral” – eher belanglose Zielformulierung, da keine inhaltliche Aussage
  • “klimaverantwortlich” – sprachlich absolut korrekt, meist nur nicht im beabsichtigtem Sinne
  • “klimapositiv” – der Mensch is guad, nur die Leit san schlecht – sagte Helmut Qualtinger dazu

Wie wir als Unternehmen das handhaben

Wir sehen uns klar darauf verpflichtet, der Vermeidung von CO2-Emissionen absoluten Vorrang vor allen anderen Maßnahmen einzuräumen. Dies ist uns zu 85% bereits gelungen (wir konnten unseren Footprint pro kg Endprodukt in den letzten 10 Jahren von 2 kg CO2 pro kg Endprodukt auf ca. 300 g/kg reduzieren). Für die nächsten Jahre haben wir einen detaillierten Plan, wie wir auf 100 g/kg weiter reduzieren können. Die noch nicht vermeidbaren Emissionen kompensieren wir über unsere Fellow B Corporation Climate Neutral Group aus den Niederlanden, die auch die Auswahl und Gewähr dafür übernehmen, dass ausschließlich sinnvolle Projekte in obigem Sinne finanziert werden.

Zusätzlich arbeiten wir in Forschungsprojekten an der CO2-Extraktion, in denen biobasiert aus atmosphärischem CO2 Grundstoffe für unsere Produktion gewonnen werden sollen. Wenn diese Projekte erfolgreich sind, können wir nicht nur als Net-zero gelten (also nach Kompensation), sondern als Gross-zero oder Brutto-Null (also ohne Kompensation)- und das ist unser Goldstandard.

Wir nehmen zudem sicher an keinen Projekten zum Geo-Engineering teil, solange keine belastbare Folgenabschätzung vorliegt. Alle Versuche der Menschen, Ökosysteme zu ihren Gunsten zu beeinflussen, hatten mit massiven Nebenwirkungen zu kämpfen, die in vielen Fällen den Zustand signifikant weiter verschlechtert haben. Menschen sind einfach keine guten Manager in komplexen Systemen. 4 siehe dazu auch Elizabeth Colbert: Under a White Sky, Vintage, 2022.

Das Magazin Clean Energy Wire hat einen Leitfaden veröffentlicht, anhand dessen man die Ernsthaftigkeit der Klimaschutzbemühungen eines Unternehmens abschätzen kann (How to unpick a company net zero target in 7 steps). Wir haben uns in den sieben Kategorien selbst eingeschätzt:

AnforderungSituation PNZ
Does the company publish complete data on its emissions?Ja, wir veröffentlichen unsere jährlichen Emissionsdaten in unserem Nachhaltigkeitsbericht. Nicht nur zu CO2, sondern auch zu Abfall, Abwasser, etc.
Does the company’s net zero target cover all of its emissions?Wir messen unsere Emissionen in Scope 1-3, d.h. inklusive der Lieferkette.
Does the company have concrete plans to quickly reduce its own emissions, without relying on carbon offsets?Wie oben beschrieben, haben wir einen Plan bis 100 g/kg, den wir in den nächsten 5 Jahre erreichen werden. Das entspricht dann einer Reduzierung um 95% in den letzten 10 Jahren.
Does the company have interim targets which show it intends to act fast?Wir haben die Projekte und Maßnahmen, die obige Reduktion bewirken substantiiert und mit einem Zeitplan hinterlegt. Allerdings haben wir kein Gantt-Diagramm dazu, sollten wir vielleicht noch machen.
Is the company’s net zero target in line with the Paris Climate Agreement?Wir reduzieren unsere CO2-Emissionen im Hinblick auf das 1,5° Ziel und haben das von der Science Based Targets Initiative der UNO validieren lassen.
Does the company have a plan to exit oil, coal, and fossil gas?Ja, selbstverständlich.
Does the company promote renewables in its energy procurement?Wir beziehen seit vielen Jahren zu 100% Ökostrom.

Wir glauben, dass es CO2-Kompensation ein sinnvolles Tool in unseren Klimaschutzbemühungen ist, sehen aber auch die Gefahr, dass CO2-Zertifikate als moralisches Feigenblatt für eigenes Nichtstun verwendet werden können.

Und manchmal ärgert man sich über allzu dreiste Greenwashing-Werbeaussagen von Unternehmen, die mit Klimaschutz sehr wenig am Hut zu haben scheinen. Manche Dinge muss man wahrscheinlich einfach aushalten.

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