Corona, Klimawandel und Grundeinkommen: Entscheidung in der Nachspielzeit

Benedikt Herles hat in einem Beitrag in der Zeitschrift Capital vom 08. April die Frage nach der „Welt nach Covid-19“ gestellt und ausgeführt, dass die Welt nach Covid-19 eine andere sein würde als davor. „Action required!“ endet sein Blick in die Zukunft und ich könnte nicht mehr zustimmen. Aber welche Action sollen wir taken? Quo vadis Welt nach der Pandemie?

Nach Corona?

Viele Branchen, die jetzt besonders besorgniserregend in die Zukunft blicken, waren schon vor Covid-19 in Schwierigkeiten. Denkt man an die Luftfahrtbranche oder die deutsche Automobilindustrie, dann war das Virus ein Beschleuniger von Entwicklungen, die schon vor vielen Jahren angefangen haben: verändertes Kundenverhalten, negative Umweltauswirkungen und ausgelutschte Supply chains haben einige Branchen besonders anfällig für exogene Schocks gemacht und lassen den Strukturwandel jetzt schneller verlaufen, als er sich vielleicht unter normalen Umständen entwickelt hätte. Der deutsche Staat stützt jetzt sinnvollerweise diese Branchen (und die damit verbundenen Arbeitsplätze), aber er wird sie nicht retten können. Den Status-quo-ante werden wir in vielen Bereichen nicht mehr erreichen, und das wissen sie. Zum Beispiel die Lufthansa, die ihr Geschäftsmodell heute schon explizit auf ein deutlich niedrigeres Niveau als vor der Krise ausrichtet. Arbeitsplätze werden eher kurz- als mittelfristig wegfallen, die entsprechenden Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Aber niemand weiß, wie die neue Welt nach Covid-19 genau aussehen wird. Insbesondere, weil die nächste Pandemie schon seit Jahren vor der Haustür lauert…

Klimawandel

Die Probleme durch den Klimawandel sind momentan nur zugedeckt durch die Corona-Pandemie, aber sie sind nicht verschwunden. In der Bewältigung dieser Pandemie lassen sich meines Erachtens durchaus Schlüsse für den anstehenden Kampf gegen die Folgen des Klimawandels ziehen.

Erstens eine überraschende Beobachtung: bei Covid-19 scheint plötzlich ganz einfach, was beim Kampf gegen den Klimawandel als unmöglich galt. Der Kampf gegen den Klimawandel war bisher auch deshalb so schwierig, weil er ohne einen aktiv eingreifenden Staat nicht zu führen ist. Verbote, Kontingente, Regelungen und Beschränkungen sind zur Veränderung der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit unverzichtbar. Und genau das, so die Meinung des Wirtschaftsliberalismus, machten die Bürger nicht mit. Jetzt kommt mit der Coronavirus-Krankheit Nr. 19 ein, verglichen mit den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels, kleines Problem und alles geht einfach: Quarantäne, Ausgangssperren, Veranstaltungen werden abgesagt, Flüge gestrichen, Reisefreiheit eingeschränkt. Das Bemerkenswerte daran ist nach meiner Einschätzung, dass ein großer gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass diese Einschränkungen sinnvoll sind!

An dieser Stelle teile ich Herles‘ Meinung nicht. Meine größte Sorge, der ich in der Vergangenheit mehrfach Ausdruck verliehen habe, war, dass die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels am Besten durch autoritäre Regierungen (Vorbild China) bewältigt werden können und dass das Auswirkungen auf unser Gemeinwesen in Europa haben könnte.

Und jetzt sind Deutschland und andere europäische Länder für mich das beste Beispiel, dass es auch anders gehen kann: freiheitliche Demokratien, die einen großen gesellschaftlichen Konsens entwickeln. Einschneidende Maßnahmen werden umgesetzt mit der Einsicht, dass sie notwendig sind. Gerade die autoritären und möchtegern-autoritären Staaten wie die USA, Brasilien, Ungarn und China bilden eine illustre Gesellschaft, die gerade in der Anfangszeit der Krise kein gutes Bild abgegeben hat. Autoritarismus führte eben nicht zu konsequentem Handeln, sondern zu Leugnen und Verzögern. Man darf natürlich auch nicht verschweigen, dass manche Demokratien wie Italien oder Spanien größte Schwierigkeiten haben; deren Gründe liegen jedoch häufig nicht im grundsätzlichen Zugang zum Problem (Italien hat nach meinem Dafürhalten schnell und entschlossen reagiert), sondern in einer maroden Infrastruktur besonders im Gesundheitswesen.

Zweitens, eine Schlussfolgerung aus der Frage, warum wir nachhaltige Einschränkungen unseres Lebens gegen Covid-19 akzeptieren, und angeblich nicht gegen den Klimawandel. Die naheliegende Erklärung dafür könnte sein, dass wir mehr Angst um das eigene Überleben haben, als um das Überleben der Menschheit. So nachvollziehbar das im ersten Moment auch erscheint, in der Generation unserer Kinder oder spätestens Enkelkinder wird beides allerdings zusammenfallen. Ist es ethisch vertretbar, dieses Dilemma zu vererben, statt es heute anzugehen? Und die in 20 Jahren notwendigen Maßnahmen werden zigfach so teuer sein, als wenn wir sie heute ergreifen würden. Das war beim Corona-Virus übrigens ganz genauso, wie die Chinesen schon nach einer vierwöchigen Phase des Leugnens festgestellt haben und die US-Amerikaner es gerade auch bemerken. Vielleicht setzt sich der Gedanke durch, dass bei großen erwartbaren Problemen frühzeitiges Handeln nicht nur eine sozial, sondern auch eine ökonomisch vernünftige Tat ist.

Absicherung

Für viele ist die Corona-Pandemie eine wirtschaftlich existenzbedrohende Angelegenheit. Ich denke hier nicht nur an Volkswagen, Lufthansa und Co., sondern besonders an Reisebüros, Friseure, Cafes und die vielen Mittelständler, die in Zulieferketten zwischen Rohstoffanbietern und Großabnehmern in der Zwickmühle sitzen. Und an alle Menschen, die dort arbeiten und sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen müssen. Manche Bürde konnte von verantwortungsvollen und mitfühlenden Vermietern und Arbeitgebern abgefedert werden, aber im Großen und Ganzen steht derzeit eine Institution für alle bereit, der viele schon das Misstrauen ausgesprochen hatten: der Staat. In der EU haben die meisten Staaten große Hilfspakete bereitgestellt, die dem Einzelnen Hoffnung auf eine Zeit danach geben können und aus dieser Hoffnung schöpfen viele ihre Zustimmung zu den einschneiden Maßnahmen, wie wir sie gerade erleben. Erfolgreiche Krisenbekämpfung ist eben auch eine Frage der Solidarität.

Quo vadis?

Man muss wohl ein großer Optimist sein, um sich schon zu Beginn einer Krise wie Corona Gedanken darüber zu machen, welche positiven Effekte die Gefahr haben könnten. Wenn diese Krise schon das Potential besitzt, unsere Gesellschaft aus den Angeln zu heben, vielleicht ist es dann auch sinnvoll, nach Bewältigung von Covid-19 darauf zu achten, dass wir die nächste – existenzbedrohende – Krise noch ernster nehmen, denn sie wird noch ernster sein. Und wir stellen gerade fest, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und die Legitimation staatlicher Beschränkungen durch bürgerliche Vernunft und Verantwortungsbewusstsein ein sehr probates Mittel sind, um große Herausforderungen zu bewältigen. Was könnten wir am Ende der Corona-Pandemie gelernt haben:

Erstens, Solidarität auf individueller Ebene funktioniert. Sicherungspakete für Kurzarbeit, Liquiditätshilfen und Kredite in einem ungeheuren Ausmaß (in Deutschland könnten sich die Hilfen auf bis zu 1,2 Billion EUR belaufen) sind ein Akt der Solidarität des Gemeinwesens gegenüber seinen Bürgern. Der Bürger kann sich auf den Staat verlassen, das ist die Botschaft aus der Krise.

Zweitens, Solidarität auf kollektiver Ebene auch. Es werden derzeit sogenannte Corona-Bonds diskutiert. Dahinter stehen Schulden, die ärmere Länder in der EU für ihre Stabilisierungsmaßnahmen benötigen und für die alle EU-Staaten gemeinsam haften. Corona-Bonds sind derzeit politisch heftig umstritten (insbesondere Deutschland und die Niederlande lehnen sie ab), aber auch in der politischen Führung wächst die Einsicht, dass es ohne eine kollektive Unterstützung für einzelne Länder in der EU keine Perspektive gibt. Und diese Länder werden auch als Absatzmärkte und Urlaubsorte benötigt. Oder Staaten wie Mali mit 30 Intensivbetten für 18 Mio. Einwohner. Eine Corona-Epidemie in Mali kann Migrationsbewegungen nach Europa auslösen, deren Folgekosten deutlich höher liegen als direkte Hilfe. Es scheint mir nur eine Frage der Zeit, bis wir zu kollektiver Haftung für individuelle Schulden auch auf Staatenebene in der EU und darüber hinaus gehen werden. Es wird nicht anders funktionieren, schon alleine aus Eigeninteresse.

Drittens, ein Systemwechsel in der Art und Weise, wie wir Arbeit verstehen. Seit 2013 wissen wir, dass der Zusammenhang zwischen Armut und Intelligenz nicht „Dummheit macht arm“, sondern „Armut macht dumm“ lautet(*). Das Gehirn im Notfallmodus verliert etwa 13 IQ-Punkte gegenüber einem im Entspannungsmodus. Zunehmende Automatisierung wird zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen führen. Das volkswirtschaftlich verfügbare Haushaltseinkommen darf aber nicht nachhaltig sinken, ohne die Wirtschaft in Schwierigkeiten zu bringen. Diese drei Faktoren zusammen wirken als Beschleuniger für einen strukturellen Wandel, wie Haushaltseinkommen in Zukunft generiert wird. Durch die Hintertür und ganz ohne soziales Mitgefühl kommt ein alter Bekannter wieder herein: das bedingungslose Grundeinkommen.

Viertens, Nachhaltigkeit vorbereiten. Wir haben gerade gesehen, was mit internationalen eng getakteten Lieferketten passiert, wenn ein Krisenereignis die Logistik unmöglich macht. Nachhaltige, regionale, flexible Unternehmen sind hier deutlich besser aufgestellt als internationale Konzerne. Eine schöne Trockenübung für den Klimawandel, denn dessen Bekämpfung wird an einer sensiblen Stellschraube drehen müssen: der Verteuerung von Logistik. Die Repatriierung von Wertschöpfungsketten können wir heute in und nach der Corona-Krise schon vorbereiten, das wird in Zukunft ohnehin kommen.

Fünftens, die Rolle von Experten verstehen. Was meines Erachtens im Moment in Deutschland sehr gut – und in den USA und China überhaupt nicht – funktioniert, ist die Rolle der Experten in der Bekämpfung der Krise. Wir haben uns die renommiertesten Wissenschaftler gesucht und an die Spitze täglicher, öffentlicher Briefings zu Covid-19 gestellt. Und diese Wissenschaftler kennen ihren Raum, wissen, was sie wissen und was nicht und überlassen politische Fragen jenseits der Wissenschaft den Politikern. Was für ein schöner Kontrast zu den USA, wo derzeit sich jeder zum Experten berufen kann und die amerikanischen Wodargs Hochkonjunktur haben. Aber erstaunlicherweise zeigt sich auch in den USA, dass ein(!) Wissenschaftler in der Corona-Taskforce, der Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) Dr. Anthony Fauci, von der Öffentlichkeit auch als einzige Autorität wahrgenommen wird, die selbst dem Präsidenten die Stirn bieten kann. Diese Erkenntnis geht an alle, die normalerweise in allen ökonomischen Fragen stets danach rufen, dass man endlich auf die Experten hören möge und in der Corona-Krise nun vor der Diktatur der Wissenschaftler warnen. Ein Hinweis dazu für die Zukunft: Ökonomen können niemals Experten im engeren Sinne sein. Die Ökonomie ist genausowenig eine Wissenschaft wie die katholische Religionslehre.

Enden möchte ich mit zwei Schaufenstersprüchen aus London unmittelbar nach der Bombardierung durch Deutschland. Ein Supermarkt und ein Pub in den Trümmern völlig zerbombter Häusern:

«MORE OPEN THAN USUAL.»(**)

«OUR WINDOWS ARE GONE, BUT OUR SPIRITS ARE EXCELLENT. COME IN AND TRY THEM.» (**)

Während Nazi-Deutschland davon ausging, dass ein Bombenkrieg die Moral der Bevölkerung völlig zerstören würde, war das Ergebnis in Wirklichkeit ein völlig anderes: die Moral war ungebrochen und diese britische Haltung ist ein Vorbild für die Bewältigung großer Krisen.

Notes:

Benedikt Herles: Die Welt nach Covid-19. Capital vom 08.04.2020.

(*) Anandi Mani, Sendhil Mullainathan, Eldar Shafir, and Jiaying Zhao: Poverty Impedes Cognitive Function. Science Vol 341, 976.

(**) Plakate vor zwei zerbombten Geschäften in London, 1940. gefunden in: Im Grunde Gut: Rutger Bregman. Rowohlt, 2020.

Über den Autor:

Dr. Marcel Pietsch ist studierter Volkswirt und Philosoph. Er führt ein Familienunternehmen, das sich mit der Herstellung und dem Lebenszyklus nachhaltiger Produkte beschäftigt.

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